Rollenbild Nr. 2 von 210
Zart flirren die Füße, Balletteusen gleich,
knapp über dem Strich.
Dieser nur eine vermeintliche Schwelle,
wo sich doch sonst die Knie zum Beten niederlassen.
Alles schwebt, leicht fühlt es sich an…
Zunächst!
Der Blick will nach oben – da, da ist sie,
die andere,
das Pendant der Schwelle
Druck!
Auf dem Kopf!
Das Leichte geht, Widerstand kommt. Und mit ihm die Blindheit.
Ein Bedauern? Eine Traurigkeit?
Er ist doch noch so jung, so Kind in des Mannes Anzug mit Schlips. Ein Piratentuch bedeckt den Kopf.
Widerspruch.
Widerspruch. Oben und unten.
Entgegengesetzt. Farben. Dynamik.
1
Ist Widerspruch gleich Gegensatz?
Entgegengesetzt gleich Kampf? Es ist eine Geburt:
Klar, bestimmt, geordnet, vom Alten ins Neue: Zwei Seiten. Polarität. Dualität. Getrennt.
Die Längsgerade vereint, verbindet, gibt Ruhe!
Das Feuer mit seinen Flammen, nach oben strebend,
kraftvoll,
aus der Vulkanglut des Inneren zehrend,
wo die Figur
blind, stumm, koordinierungslos schon fertig gebaut
– ganz so, wie sie sein soll –
verzehrt wird!
Es ist doch alles da! Paradiesische Zustände!!
Aus Lehm sind wir gemacht,
in Feuer gebrannt,
hart, widerstandsfähig, lebendig…
Warum nur sind wir dann so unzufrieden, unglücklich und ungläubig?
Satt stehen wir inmitten des blauen Safts des Lebens, alles scheint zu stimmen, ineinanderzugreifen,
zu kompatibelisieren…
Aber ja doch: Genau, das ist es! Unsere Kompatibilität:
Eingespannt in zwei Schwellen, die Halt uns gebend Druck aufbauen,
unfrei machen bis zur Paralyse: Funktion, funktionieren, überleben!
2
>Oh, ich fühle mich so warm, so satt, so energievoll und lebendig… In einer dunklen Höhle taste ich mich nach vorne, spüre die feuchte Kälte der brachigen Felswand. Einem Maulwurf gleich suche ich den Weg ins Licht. Ich bin jung. Ich bin ein junger Mann. Ich weiß nicht genau, ob ich nur einen Lendenschurz trage oder einen Anzug. Ich weiß auch nicht, woher ich diese beiden Begriffe kenne. Es ist, als ob sie ein Teil von mir sind, zellenmäßig gesehen. Sozusagen genetisch verankert. Der Anzug und der Lendenschurz.
Ich spüre diese unglaubliche Hitze des Feuers an meinem Körper. Doch in meinem Inneren ist es kalt. Dieser Temperaturunterschied sorgt dafür, dass sich um meinen Körper ein dampfartiger Raureif bildet. Wie ein Schutz. Dieser Schutz verhindert den freien Blick nach draußen. Mein Blick ist vernebelt. Dieser Nebel trennt mich von meiner Außenwelt. Ich habe Kontakt. Zur Felswand. Mit meinem Tastsinn. Beinahe nackt laufe ich auf dem kalten Boden. Meine Füße sind groß. Meine Hände ebenfalls.
Ich ertaste das grobe Gestein, schmecke das metallische Nass, höre das fragil- laute Quietschen des Windzugs im felsigen Gemäuer, ich rieche das morastige Algengestrüpp. Doch — doch ich sehe nichts! Ich kann meine Augen nicht öffnen. Und das allein lässt mich beinahe ohnmächtig fühlen, ausgeliefert sein, blind. (Ist es nicht so, dass der Sehsinn dem Gehirn etwa 80 Prozent aller Wahrnehmungen liefert?)
Und doch spüre ich in mir eine friedvolle Heiterkeit und Gelassenheit. Es hat sehr viel Kindliches. Ein kindliches Vertrauen!
Ein junger Mann. Dunkle Locken. Glänzende Augen. Voller Erwartungsfreude! Jetzt trägt er nur einen Lendenschurz, sonst nichts. Er fühlt sich „richtig“.
Er ist richtig!<
Cornelia Hargesheimer / 24-10-17